Dresden am 26. Februar 2013. Das Wetter ist am Abend etwas regnerisch,
aber nicht sonderlich kalt.
Im Dresdner Staatsschauspiel wird an diesem Abend eine besondere Lesung - im Rahmen
der Reihe "Prominente Schauspieler lesen Jahrhunderttexte" anlässig der 100. Spielzeit des Staatsschauspiels - gegeben:
(Fotoquelle: Privat) |
Die Lesung ist witzig und wird sehr charmant von Anna und Katharina Thalbach vorgetragen.
Neben der eigentlichen Lesung erzählen beide einiges zu den Texten und deren Entstehung. Man merkt beiden an, dass es ihnen viel Spaß macht, die Texte von Thomas Brasch vorzutragen.
Gelesen wird - neben Gedichten - auch Theatertexte, Geschichten und auch ein kleines Filmexposé.
Mein absolutes Lieblingsstück von Thomas Brasch wird auch vorgetragen -
beide teilen sich diesen Text:
Warum Spielen?
Um diese Frage überflüssig zu machen | um eine Gegenwelt herzustellen |
um die Träume von Angst und Hoffnung vorzuführen einer Gesellschaft, die
traumlos an ihrem Untergang arbeitet | um die Toten nicht in Ruhe zu
lassen | um die Lebendigen nicht in Ruhe zu lassen | um Wurzeln zu
schlagen | um Wurzeln auszureißen | um Geld zu verdienen | um ein
Lebenszeichen zu geben | um einen Tod anzuzeigen | um eine Erfindung zu
machen | um nicht arbeiten gehen zu müssen | um Arbeit zu haben | um den
tiefen Schlaf einer erschöpften Gesellschaft mit Fratzen zu erschrecken
| um nicht einzuschlafen | um nicht aufzuwachen | um das Vergessen zu
töten | um nicht allein zu sein | um eine Zeremonie aufzuführen in einer
Zeit ohne Zeremonien | um keine Verantwortung zu haben | um allein zu
sein | um auszulöschen, was ICH genannt wird | um zusehen zu können | um
dem Pathos solcher Antworten zu entgehen | um die Rollen zu wechseln |
um Lügen zu verbreiten | um vom Blick einer erfüllten Liebe gestreift zu
werden und vom Blick der Wut | um den Kapitän wieder einmal endgültig
an den Mastbaum zu nageln | um einer Frau unter einem Vorwand und ohne
Folgen in die Wäsche greifen zu können | um herauszufinden, wer das Kind
erschossen hat, das schrie: Der Kaiser ist nackt | um zu schrein: Der
Kaiser ist nackt | um nicht reden zu müssen | um nicht schweigen zu
dürfen | um die Regeln der Schwerkraft außer Kraft zu setzen | um aus
der Welt ein Theater zu machen aus Stein, Holz und Gittern | um drinnen
und draußen zu sein zu gleicher Zeit | um einen Umweg zu finden | um
Täter und Opfer zu sein zu gleicher Zeit | um Mann und Frau zu sein zu
gleicher Zeit | um in diesem endlosen Vorkrieg nicht zu ersticken | um
über einen Sterbenden lachen zu können | um die Geister zu bannen, vor
den Türen und unter dem Tisch: Hilfe ich lebe | um diese krachende
Stille nicht aushalten zu müssen | um herauszufinden, wie lange einer
ausgehalten wird von Leuten, die sich genausowenig für ihn interessieren
wie für sich selbst | um nicht angestellt zu sein | um vergessen zu
werden | um die Frage überflüssig zu machen: Warum spielen | Um zu
spielen |
(Thomas Brasch)
(Thomas Brasch)
Nach der Lesung wird durch Thomas Bille noch ein Interview mit den beiden angeschlossen, in dem sie noch etwas zu ihrem persönlichen Verhältnis zu Thomas Brasch erzählen und betonen, dass es ihnen wichtig ist, sein literarisches Erbe am Leben zu erhalten.
Alles im Allen ein wunderschöner und gelungener Abend, der Lust darauf macht, mal wieder etwas von Thomas Brasch zu lesen und ihn vielleicht dabei auch neu zu entdecken.
Noch ein Tipp für alle, die gerne mehr hören wollen:
(Bildquelle: www.amazon.de) |
Alles Liebe,
Katja
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
=============================================================================================
Schön, das Du hier bist!
Über Deine Kommis freue ich mich natürlich sehr. Schreib doch einfach was Dir auf der Seele brennt.
Alles Liebe,
Katja
=============================================================================================
Mit der Abgabe eines Kommentars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung der Daten gemäß des DSGVO einverstanden.
Ein Widerspruch gegen die Verarbeitung ist jederzeit möglich.
=============================================================================================